Radnetze für Paris
Das ADFC-Projekt „InnoRAD“ stellt besonders erfolgreiche Beispiele aus der internationalen Radverkehrsförderung vor. Bei diesem Best-Practice Beispiel geht es darum, wie Paris mit einem der größten Radnetze weltweit die Mobilitätswende vorantreibt.
„Plan Vélo“ heißt das ambitionierte Programm der Pariser Stadtverwaltung, das Hunderte von Kilometer Fahrbahnen in ein schlüssiges und durchgängiges Radverkehrsnetz umwidmen soll. Der Plan Vélo ist eines der größten Projekte der Radverkehrsförderung weltweit – und das auch zu Recht: Für große Probleme braucht es ambitionierte Lösungen. Paris ist schon seit Jahrzehnten durch den Kfz-Verkehr überlastet.
Folgen der autodominierten Politik
Paris ist eines der am dichtesten besiedelten Gebiete in Europa. Die Stadt leidet seit Jahrzehnten wie kaum eine andere europäische Metropole unter schlechter Luft und Platzmangel. Der begrenzte Raum führt zu einer starken Flächenkonkurrenz, die seit den 1960er-Jahren meist zu Gunsten der Kfz-Infrastruktur (Fahrbahnen und Parkplätzen) entschieden wurde.
Das Fahrrad blieb dabei zunächst auf der Strecke, bis die Stadtregierung unter Bürgermeisterin Anne Hidalgo 2015 entschied, mehr für das Fahrrad zu tun.
Schnelle Umsetzung
Weil die Zeit knapp wird, wenn Paris die Klimaziele erreichen möchte, hat die Pariser Stadtverwaltung sich schnelle Lösungen überlegt. Die bestehende, komplett auf das Auto ausgerichtete Infrastruktur grundlegend umzubauen, würde Jahrzehnte dauern. Deshalb hat die sogenannte Modal Split-Strategie von Bürgermeisterin Hidalgo die Fahrbahnen ins Auge gefasst: Sie wurden umgewidmet und für den Rad- und Fußverkehr geöffnet. Das ist zeitsparend, günstig und sehr wirkungsvoll.
Ein durchgängiges Radverkehrsnetz
Ein Radverkehrsnetz sollte wie ein Straßennetz geplant sein: So wie Autofahrer*innen immer davon ausgehen können, dass sie mit dem Auto ihr Ziel in der Stadt sicher und bequem erreichen, so dürfen auch Radfahrende Gleiches vom Radverkehrsnetz erwarten.
Der „Plan Vélo“ sieht ein durchgängiges Netz vor, das sich aus drei Netzkomponenten zusammensetzt: Das Hauptnetz auf Hauptverkehrsachsen (Réseau structurant) bildet die wichtigsten Verbindungen für Radfahrer*innen.
Es wird vom Sekundarnetz ergänzt (Réseau secondaire), das mit seinen Wegen den Zugang zum Hauptnetz ermöglicht. Die dritte Komponente ist Fahrrad-Express-Netzwerk (Réseau Express Vélo), also ein Netz aus Radschnellwegen, das vielen Pendler*innen für das Radfahren begeistern soll. Bereits 300 Kilometer Radwege auf Haupt- und Nebenstraßen wurden in Paris umgesetzt.
Positive Reaktionen
Paris ist die Stadt der kurzen Wege: Fast 70 Prozent der Wege im Großraum Paris sind kürzer als drei Kilometer und damit ideal zum Rad fahren. So blieben die neu gebauten Radwege nicht lange unbenutzt.
Schon wenige Monate nach Öffnung der neuen Radwege stieg die Zahl der Radfahrenden durchschnittlich um 50 Prozent. Auf den neuen geschützten Radwegen in der Rue de Turbigo und auf dem Boulevard Pasteur beispielsweise stieg die Nutzung zwischen September 2018 und September 2019 sogar um 138 Prozent bzw. 80 Prozent.
Radfahrer*innen in Paris sind nicht nur mehr geworden, sondern auch vielfältiger. So haben sich immer mehr Frauen, Eltern und ältere Menschen entschieden, ihre Alltagswege mit dem Fahrrad zurückzulegen.
„Nicht nur das Pariser Beispiel, sondern auch die Erfahrungen aus anderen Weltmetropolen zeigen, dass die Qualität der Radverkehrsinfrastruktur eine wichtige Rolle spielt“, sagt Burkhard Stork, ADFC-Bundesgeschäftsführer.
„Die Radverkehrsinfrastruktur muss eine gewisse Qualität aufweisen und den Menschen ein starkes Sicherheitsgefühl vermitteln, damit sie sich eingeladen fühlen, aufs Fahrrad zu steigen. Nur so kann das Fahrrad eine echte Alternative zum Auto werden“, so Stork weiter.
Pop-up-Radwege und Fahrradparkplätze gehören dazu
Zu Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 entschied die Pariser Stadtregierung, die noch nicht vollendeten Radwege auf Hauptachsen mit provisorischen Radwegen zu ergänzen. So entstanden in kurzer Zeit 50 Kilometer Pop-up-Radwege.
Diese mit Warnbaken geschützten, provisorischen Radwege erstrecken sich über die wichtigsten U- und S-Bahnlinien und bieten somit eine komfortable und sichere Alternative zum Auto- und öffentlichen Verkehr.
Gerade bei Menschen, die ihre Wege sowohl mit dem Rad als auch mit der Bahn zurücklegen, sind Fahrradabstellanlagen wichtig. Das Abstellen vom Fahrrad wurde jetzt für viele Menschen leichter durch 15.000 neue Fahrradbügel sowie gesicherte Fahrradboxen an wichtigen Verkehrsknotenpunkten, in Wohngebieten sowie bei gut besuchten Einrichtungen wie Bibliotheken, Museen oder Sportzentren.
Stadtentwicklung und Radverkehr: Die besten internationalen Ideen
Immer mehr Kommunen entwickeln innovative Konzepte für lebenswerte Orte mit dem Menschen im Mittelpunkt durch weniger Autoverkehr und mehr Platz fürs Fahrrad. Ihr Ziel ist es, neben der Einsparung von Treibhausgasemissionen, den Anteil des Radverkehrs zu erhöhen und so für alle vor Ort die Lebens-, Aufenthaltsqualität und die Verkehrssicherheit zu verbessern. Im Projekt „InnoRAD“ wurden besonders erfolgreiche Best- Practice-Beispiele aus der internationalen Radverkehrsförderung ausgewählt und deren Anwendung im deutschen Rechtsrahmen geprüft. Von den Superblocks in Barcelona über die autofreien Tage in Bogotá bis zu den Mini-Hollands in London geht es den politischen Entscheidungsträger*innen vor allem um eines: Sie wollen lebenswerte Stadträume für die Menschen schaffen, die sich in der Stadt bewegen. Das Booklet InnoRAD - Stadtentwicklung und Radverkehr: Die besten internationalen Ideen zeigt Wege auf, wie auch in Deutschland innovative Ideen aus dem Ausland umgesetzt werden können, um den Radverkehrsanteil zu erhöhen. Im Zentrum der Recherchen standen Städte, die es geschafft haben, in relativ kurzer Zeit viel zu verändern. Das Booklet steht in der blauen Medienbox zum Download zur Verfügung.
Gut für den Fußverkehr
Auch der Fußverkehr profitiert: Rund 230 Straßen wurden zu Fußgängerzonen umgewandelt und die Bürgersteige an weiteren 150 Straßen verbreitet. Sehr wichtig für Pariser*innen, denn sie legen fast 60 Prozent ihrer Wege in der französischen Hauptstadt zu Fuß zurück.
Eine weitere gute Nachricht: Das neue Programm „Paris Respire“ (Paris atmet) will zudem autofreie Sonn- und Feiertage in zehn Stadtteilen einführen.
Eine weitere Flaniermeile ist inzwischen auch das rechte Seineufer. Die damals für Fußgänger*innen unattraktive Hauptstraße wurde 2016 in Parc Rives de Seine umgewandelt. Dort, wo früher Lkws und Autos fuhren, genießen Menschen jetzt die breiten Grünflachen und vielfältige Angebote wie Boule-Spiel-Anlagen, Spielplätze für Kinder und Freiluft-Fitnessstudios.
Heute ist das rechte Seineufer einer der wichtigsten Treffpunkte der Pariser*innen und einer der meistbesuchten Teile der Stadt. Dass die Autos verbannt wurden, hat auch Vorteile für die Gesundheit der Pariser*innen: Luftverschmutzung und Lärm haben an den Seineufern drastisch abgenommen.
Bekenntnis für Verkehrswende und Klimaschutz
„Trotz zahlreicher Hürden konnte sich die Stadtregierung von Paris unter der Führung von Anne Hidalgo für mehr Radverkehr und damit auch für mehr Klimaschutz durchsetzen. Die Pariser*innen haben das zu schätzen gelernt und haben Anne Hidalgo erneut zur Bürgermeisterin gewählt“, sagt Burkhard Stork.
„Die Radverkehrsförderung muss auch bei deutschen Kommunen in den Fokus rücken. Zahlreiche internationale Beispiele zeigen, dass sich das Engagement für lebenswerte Städte lohnt, nicht nur für die Einwohner*innen, sondern auch für die Politiker*innen, die sich dafür stark machen“, so Stork weiter.
Das ADFC-Projekt InnoRAD hat besonders erfolgreiche, internationale Best-Practice-Beispiele recherchiert, dokumentiert und geprüft, ob und wie sie in Deutschland angewendet werden können. Auch die Pariser Beispiele sind mit geltenden Gesetzen und Vorschriften in Deutschland konform und leicht umsetzbar.
Weitere Informationen zum ADFC-Projekt InnoRAD sowie das Factsheet zum Pariser Radnetz befinden sich in der blauen Servicebox.
Dieses Projekt wurde gefördert durch das Umweltbundesamt und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Die Mittelbereitstellung erfolgt auf Beschluss des Deutschen Bundestages.
Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autorinnen und Autoren.
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